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Sonntag, 10. Mai 2015

Klassentreffen: Wie die Erinnerung trügt




Die Elf vom Gipfel "LH-55" mit Frauen und Partnerinnen im Posthotel Mittenwald.
 In den Sesseln: Das Gastgeberehepaar. 
 

Kein Lebensabschnitt ist individueller, subjektiver, emotionaler und stärker in Nebel gebettet als das Alter.“ Sagt Thomas Druyen von der Siegfried-Freud-Uni in Wien. Recht hat der Mann. Seine Erkenntnis habe ich gerade im eigenen Kopf verarbeiten dürfen oder müssen. Beim Gipfel „LH 55“ Anfang Mai war das. Der fand nicht im Schloßhotel Elmau statt, wo im Juni Merkel, Obama und Co. talken und tafeln, sondern gleich nebenan im Posthotel in Mittenwald. Dort trafen sich auf Einladung des Hoteliers „Fidschi“ * elf Ehemalige des Jungen-Internats Canisianum im münsterländischen Lüdinghausen. Mit dabei: Die Ehefrauen (ca. 50 %) oder auch Lebensabschnitts-Partnerinnen.

Am Rande: Das Canisianum war jene „Bildungsstätte“, der Heinrich Breloer in seiner mehrmals ausgezeichneten TV-Dokumenation bescheinigt hat, dass „der Tagesablauf von einer katholischen Erziehung geprägt war, die Schuld und Sünde in den Vordergrund stellte“. Stimmte zwar, ist aber für mich nach 60 Jahren dazwischen nur noch so etwas wie Käse und Kokolores. Wie gesagt, für mich. Andere sehen das immer noch so (Helmger*) oder haben es nie so gesehen (Mau-Mau*).

Elf von 39 also, denen 1955 die so genannte >Mittlere Reife“ bescheinigt wurde. Der Rest konnte nicht, weil verstorben, malad oder anderweitig eingebunden. Oder wollte nicht, weil immer noch von bösen Erinnerungen heimgesucht. Die elf allerdings, die da in Mittenwald getalkt und getafelt (siehe den Vergleich zu Elmau) haben, hatten den katholischen Drill aus ihrem Internatsgepäck schon lange auf den großen Müllhaufen des Vergessens geworfen. Wie vieles andere auch. So durfte ich erfahren, dass Alter ein Begriff ist, unter dessen Dach ganz verschiedene Wahrheiten schlummern.

Als ich zum Beispiel meine Frau vorstellte, stieß ich auf großes Erstaunen. „Du und verheiratet? Hätte ich nie geglaubt.“ Ehrlich gesagt, hätte ich von dem, der das sagte, nicht mal geahnt, dass er unter den 500 vermögensten Deutschen gelistet wird. Oder Mozart* , der fest davon überzeugt war, dass ich früher mal in einem Kaff im Münsterland gelebt hatte. Genauso wie ich schwöre, dass ich besagten Ort noch nie im Leben betreten habe, genauso überrascht war ich, als eben dieser „Mozart“ sich an drei Abenden in Mittenwald zum medienreifen Kommödianten entwickelte. „Der und witzig? Den hatte ich nie so in Erinnerung,“ resümierte auch Rollf*, den ich Jahrzehnte in Brasilien vermutet hatte, obwohl er die ganze Zeit und bis heute in Österreich an einer Strasse wohnt, die ich im Berufsleben reichlich oft benutzt habe.

Wirklichkeit, Wahrheit und Wahrnehmung. Erst im Alter relativiert sich so manches. Allein schon diese Erkenntnis ist eine Sensation, die nicht unterschätzt werden sollte. So gesehen war unser „LH-55-Treffen“ ein voller Erfolg. Und das nächste Treffen 2016 in Wuppertal wird auch schon vorbereitet.. Ich bin sicher, in Elmau kommt auch nicht viel mehr beim G-7-Gipfel als eine Verabredung zum nächsten Treffen heraus. Darum: So lange wir uns noch Ziele setzen, sind wir dabei, auf der großen Bühne dieser Weltgeschichte. Und die Erinnerung? Sie mag trügen. Erschüttern kann das keinen mehr, wenn er erst mal eine stattliche Anzahl von Jahren auf dem Buckel hat, wenn Gelassenheit selbst körperliche Hindernisse ausgleicht. In diesem Sinne:

Euer Punzel*

* = aus Datenschutz- und anderen Gründen habe ich nur Vor- oder Spitznamen genannt.